30 Jahre Bobby-Car-Rennen

Eine Pilgerfahrt zurück zu den Wurzeln

Es ist der 20.05.2023: Heute vor genau 30 Jahren, am 20.05.1993, wurde im kleinen Örtchen Silberg in Nordrhein-Westfalen ein ganz besonderes Hobby geboren.

Wie alles 1993 begann:

Es war einmal, an einem herrlichen Frühjahrstag - es war Vatertag, und die Zeit war schon etwas vorangeschritten - da beschlossen Dieter Kerzel und Uwe Wagener, zwei junge Väter aus Silberg, für ihre Frauen und Kinder zu grillen.

Das Werkzeug war schnell organisiert und wurde mitten auf der Dorfstraße, dem Gartenweg, in Stellung gebracht. Während des Grillens holten die Kinder ihre Bobby-Cars und fuhren die Dorfstraße hinab. Immer und immer wieder. Das Ziel des Rennens war jedes Mal das Garagentor des Nachbarn, der sich natürlich vom wiederholten Lärm in seiner Ruhe gestört fühlte.

Nachdem er die beiden Väter auf diesen Sachverhalt aufmerksam gemacht hatte, überlegten beide, wie laut es wohl erst knallen würde, wenn sie selbst vor Nachbars Garagentor fahren würden! Als Kinder und Frauen gemütlich ihre Würstchen verspeisten, entwendeten die beiden heimlich die Bobby-Cars ihrer Kinder und machten sich auf den Weg zum höchsten Punkt der Strecke.

Nach erfolgreichem Start und etwa 50 Meter Geradeauslauf kam eine 90-Grad-Kurve, hinter der das anvisierte Garagentor auf den Einschlag der beiden wartete.

Die 50 Meter geradeaus waren noch ok aber die Kurve hatte es in sich. Keiner der Väter schaffte es, die Kurve zu meistern - stattdessen flogen sie unter johlendem Gelächter der Familien in hohem Bogen in den Vorgarten eines anderen Nachbarn!

Damit war das Rennfieber ausgebrochen, und die beiden versuchten bis zum Einbruch der Dunkelheit, die Kurve zu kriegen.

Das Bobby-Car Rennen war geboren!

1998: Der erste Fernsehdreh und die Vereinsgründung

Nachdem sich in den darauffolgenden Jahren immer mehr Besucher und "Rennfahrer" am Vatertag im Gartenweg einfanden, wurde 1997 auf eine andere Dorfstraße ausgewichen - hier konnte man die inzwischen 500 Besucher zählende Veranstaltung besser abwickeln.

Die etwas außergewöhnliche Veranstaltung wurde auch auf Video aufgenommen: Dieses Videomaterial wurde dann zu "Pleiten, Pech und Pannen" gesendet und kurz nach der Ausstrahlung kam prompt der Anruf des WDR: Für die Verkupplungsshow "Geld oder Liebe" mit Jürgen von der Lippe wurde ein Single mit außergewöhnlichem Hobby gesucht.

Dietmar Bartocha nahm sich der Herausforderung an und an einem folgenden Wochenende wurden alle möglichen Szenen für den Videobeitrag der Sendung gedreht. Nachdem der Beitrag im April 1998 ausgestrahlt wurde, gingen beim WDR mehrere hundert Anfragen per Telefon und Fax ein: Alle wollten etwas über den neuen, total anderen Rennsport wissen!

Kurzerhand musste ein Organisationsteam gefunden werden. Dieses musste sich der Herausforderung stellen, innerhalb von ein paar Wochen ein Volksfest für über 5000 Besucher auf die Beine zu stellen! Eine riesige Rampe von 50 Metern Länge und fünf Metern Höhe wurde gebaut, um den Fahrern den ultimativen Kick zu geben.

Am ersten Mai war es dann so weit: Die Ausstrahlung der Sendung "Geld oder Liebe" am 04.04.1998 bescherte dem Großen Preis von Silbergstone rund 5000 Zuschauer, 10 Kamerateams und unzählige Medienvertreter.

Die Silberger erkannten die Möglichkeit, dieses Rennen zu einem festen Bestandteil des heimischen Veranstaltungskalenders zu machen. Nach dem sensationellen Erfolg wurde in Silberg nicht mehr von Veranstaltung gesprochen.. Es hieß jetzt "Event". und Essens- und Getränkestände waren jetzt "Catering". und die Leute, die die Arbeit machten, waren nun im "Logistik-Team". Schnell war klar, dass dies alles nicht unter der Regie des Turnvereins geregelt werden konnte.

Der Entschluss zur Gründung des Bobby-Car-Club Deutschland e.V. war somit gefallen.

1998: Die erste Deutsche Meisterschaft

Schnell machten sich Michael Mennekes und Uwe Wagener auf die Suche nach möglichen Sponsoren und landeten eines Tages u.a. auch in den Räumen der Krombacher Brauerei. Dort war man zunächst etwas skeptisch, wie man denn ein Kinderspielzeug mit einer Bierwerbung verbinden könne; aber letztendlich konnten die Verantwortlichen für das Club-Sponsoring begeistert werden.

Die Krombacher Brauerei war somit noch vor der Firma BIG der erste Sponsor des Silberger Clubs.

Paul Theibach, Rainer Wiedenbruch und an erster Stelle Nicoletta Spieß erkannten in dem hochmotivierten Vereinsvorstand einen guten Partner. Eventmanagerin Frau Spieß nahm sich unserer Sache an und veranstaltete mit uns die erste Deutsche Meisterschaft in Wenden.

Gemeinsam mit der Werbegemeinschaft Wenden und den Verantwortlichen Bodo Werner und Ecki Stahl fand die erste Meisterschaft 1998 in Wenden statt.

Das Wetter spielte nicht so ganz mit, dennoch waren weit über 50 Fahrer am Start. Erster Deutscher Meister wurde Falk Denke aus Silberg.

Frau Spieß betreute ab diesem Moment den damals noch unerfahrenen Vorstand und leistete Hilfestellung an allen Ecken und Enden. Großes Engagement steckte sie in den Aufbau der Vereinsarbeit und in die Veranstaltung der überregionalen Events.

Mit der ersten Meisterschaft war der Startschuss gefallen: Es folgten Qualifikationsrennen, Deutsche- und Europameisterschaften, zahlreiche TV- und Medien-Events und viele Firmenveranstaltungen in den turbulenten 2000er Jahren.

2001: Der Berg ruft - Erstes Rennen in Österreich

Im Jahr 2001 sollte es das erste Mal über die deutsche Grenze hinaus nach Österreich gehen. Im Salzburger-Großarltal, das auch als das "Tal der Almen" bekannt ist, fand unsere 1. Alpen-Trophy statt.

Mit über 70 Teilnehmern reisten die Silberger als stärkste Gruppe an. Neben den Rennen fanden alle angereisten Sportfans auch genügend Zeit, sich die wunderschöne Landschaft und die Berge anzuschauen.

Das Rahmenprogramm ließ auch keine Wünsche offen, und so wurde extra ein 5000-Personen-Zelt aufgebaut, in dem es am Abend volkstümliche Musik und eine Liveband gab.

Da dieses Event so ein positives Feedback in allen Bereichen hatte, waren sich alle sicher, dass man schon bald wiederkommen würde.

Die Sieger im Profi-Rennen (s. Foto) waren:

1.Uwe Schirmuly (Daaden), 2. Falk Denke (Silberg), 3. Wolfgang Vormberg (Silberg)

2001: Kapstadt

Nach zahlreichen Rennen, Veranstaltungen und Fernsehauftritten meldete sich auf einmal ein großer deutscher Schokoladenhersteller bei dem Silberger Verein und fragte, ob es denn möglich sei, einen Motor so in einem Bobby-Car zu verstecken, dass man die Motorisierung nicht wahrnimmt.

Es gab zwar bereits wilde Prototypen von motorisierten Bobby-Cars, die von auf Anhängern montierten Motoren geschoben wurden, aber diese Anfrage stellte den noch jungen Verein vor eine ziemliche Herausforderung. Nach einigen schlaflosen Nächten am Reißbrett konnte man dann aber ein Modell vorzeigen, auf das man zu Recht stolz sein konnte!

Die Schokoladenfirma war begeistert und man flog den technischen Rennleiter Tobias Oberste-Dommes inklusive dreier motorisierter Bobby-Cars zum Dreh eines Werbefilms nach Kapstadt!

Das wurde sogleich zum Anlass genommen, eine neue Rennklasse zu gründen: Der Bobby-Car-Motor-GP war geboren!

2002: Sat 1

Nachdem der Werbespot von Ritter Sport ausgestrahlt wurde, meldete sich der Fernsehsender SAT 1 mit der Sendung "Akte" bei den Silbergern. Thema der Sendung war der Vorstellung der neuen Rennsportklasse und einhergehend die Unterstützung eines gemeinnützigen Zwecks. Gemeinsam wurde ein motorisiertes Bobby-Car versteigert.

Da der Club immer schon gemeinnützige Vorhaben unterstützt hat (und dies auch heute noch tut), stellte sie ein motorisiertes Bobby-Car gerne kostenlos zur Verfügung. Der Erlös ging an eine Klinik für schwerst hautkranke Kinder.

Als Patin und Überbringerin einer knapp fünfstelligen Summe konnte die Schauspielerin und Sängerin Jeanette Biedermann gewonnen werden.

2002: Erste Europameisterschaft

Direkt nach der Deutschen Meisterschaft in Hambrücken konnten die Silberger das zweite Event im Großarltal austragen. Dieses Mal ging es um den Titel "Europameister im Bobby-Car-Rennen". In diesem Jahr kamen noch mehr Fahrer nach Österreich.

Die nicht immer guten Wetterverhältnisse (u.a. mit kleinem Schneeschauer) konnten den Erfolg der 1. Europameisterschaft nicht trüben.

Den Titel des ersten Europameisters sicherte sich Wolfgang Vormberg aus Silberg. Vizeeuropameister wurde Raimond Oppel aus Coburg, Platz 3 holte Florian Heukäufer aus Daaden.

2003: Hockenheimring

Bobby-Cars auf der Formel 1-Rennstrecke am Hockenheimring

Erneut wurde der Bobby-Car-Club Deutschland für ein großes Event gebucht. Mit 25 Helferinnen und Helfern vom Club ging es auf den Hockenheimring. Von Debitel gebucht, sollte für 70 Mitarbeiter von Mercedes Benz ein Eventtag der Extraklasse durchgeführt werden. Für dieses Ereignis wurde der komplette Hockenheimring gesperrt und die Silberger stellten hierfür 25 motorisierte Bobby-Car Bausätze her.

Nach professioneller Einweisung wartete schon die erste Aufgabe in den Boxen: Hier mussten die Teams die Boliden zusammenbauen und entscheiden, mit welcher Bereifung gefahren wird. Danach ging es zu Testläufen auf einen kleinen Parcours, ehe es die ersten Qualifyings in der Boxengasse gab.

Die besten Teams starteten dann standesgemäß mit originaler Formal 1-Ampel von der Startlinie.

Für alle Beteiligten war es - nicht zuletzt durch die imposante Location - ein unvergessliches Erlebnis.

Die Geschichte mit dem Lizenzvertrag

Zu der Firma BIG Spielwarenfabrik in Fürth hatten die Silberger schon sehr früh Kontakt. Tobias Oberste-Dommes konnte die Marketingleitern Frau Weishar schon vor 1998 bewegen, den Verein mit "Gratis Bobby-Cars" zu unterstützen.

Als das Medienspektakel Anfang '98 startete, nahmen die Silberger zunächst Kontakt zur Patentanwältin Frau Eiden in Pulheim auf. Sie half bei der Ausarbeitung eines Lizenz- und Sponsoringvertrages. Etwas später fuhren Michael Mennekes, Markus Kellermann und Uwe Wagener nach Fürth, wo sie zur Verwunderung der BIG-Mitarbeiter eine Privat-Audienz beim Firmengründer Erst A. Bettag bekamen und sogar eine Tasse Espresso mit ihm trinken durften.

Herr Bettag war in seiner Jugend begeisterter Trampolinturner und so hatte er in den Silberger Turnern beste Gesprächspartner.

"Warum bist Du Präsident?" fragte er Uwe, der entgegnete: "Weil ich der Kleinste bin und am besten auf die Dinger draufpasse!". Schnell fällte er seine Entscheidung mit den Worten "Es kann nur einen Bobby-Car Club geben" und sagte uns seine Unterstützung zu.

Kurze Zeit später brannte seine Firma bis auf die Grundmauern nieder und Uwe Wagener fuhr noch einmal allein nach Fürth.

Herr Bettag saß mit dem Bürgermeister von Fürth auf einer Bank vor seiner abgebrannten Firma, bot Uwe ein Bier an und sagte, dass er eine komplett neue Firma errichten werde - Rückschläge dulde er nicht - seine Unterstützung würde er einhalten . obwohl er zu diesem Zeitpunkt noch keine Produktion hatte, schickte er ein paar Tage später 20 Bobby-Cars nach Silberg.

Bei einem weiteren Besuch - es waren neben Michael Mennekes auch Mike Knigge und Tobias Oberste-Dommes mit dabei - wurde der Lizenzvertrag besprochen. Wochenlang hatte sich die Patentanwältin Frau Eiden und die BIG-Anwältin Frau Lindner Schriftverkehr geliefert. Jede Formulierung, jedes Patent, jede Kleinigkeit wurde verhandelt.

Mit dem Patent "Silbergstone" bekam der Verein bereits erste Probleme, da sie vom Patentinhaber der Rennstrecke "Silverstone" in England anzeigt wurden.

Nach zähen Verhandlungen schloss Tobias Oberste-Dommes das Meeting bei BIG mit den Worten "Manchmal ist weniger mehr", lud sich Michaels Kombi mit Spielwaren voll, besorgte am Kiosk eine Kiste warmes Bier uns gemeinsam trat man den Rückweg nach Silberg an...

Gemäß dem Motto "Es kann nur einen geben" war die Firma BIG bis zum Ende 2010 der Hauptsponsor des Bobby-Car-Club Deutschland e.V.

Ende 2010 wurde das Verbandswesen neu strukturiert und der Verein in MiniCartClub-Deutschland umbenannt.

Die neuen Rennen wurden von 2011 bis 2018 als MiniCart-Rennen bezeichnet. Es durften dabei im Gegensatz zu den unzähligen vorhergegangenen Rennen nun auch Fahrzeuge genutzt werden, die nicht von der Bobby-Car-Herstellerfirma BIG gebaut wurden.

Fortan übernahm der von Bobby-Car-Fahrern im Jahr 2011 neu gegründete Bobby-Car-Sport-Verband in Kooperation mit der BIG-Spielwarenfabrik die weitere Organisation der Bobby-Car-Meisterschaften.

Die Evolution des Renn-Bobby-Cars

Vom Kinderspielzeug zur Wissenschaft

Fuhr man in den Anfängen noch auf originalgetreuen Kinderspielzeugen die Strecken hinab, brachte der Ehrgeiz und der Erfindungsreichtum der Rennteilnehmer zusehends immer heißere "Rennkisten" hervor:

Die ersten Konstruktionen waren mit Mülltonnenrädern versehene Original-Kunststoff-Körper, die bereits ein ordentliches Plus an Geschwindigkeit brachten, manchmal wurden Treckersitze montiert, um den Sitzkomfort zu erhöhen und die ersten Lenkkonstruktionen wurden entworfen, um die Kurven besser zu meistern.

Als die Geschwindigkeiten bei den Rennen allmählich immer häufiger die 50 km/h-Grenze überschritten, legte man sich eine neue Fahrhaltung zu - diese hatte man sich vom Bob-Rennsport angeschaut: Flachliegend, um den Windwiderstand zu verringern, ging es nun immer schneller die Hügel hinab. Kugelgelagerte Luftreifen waren das Mittel der Wahl, um seine Konkurrenten hinter sich zu lassen.

Massive Stahlplatten, Radaufhängungen und manchmal sogar ganze Rahmenkonstruktionen hielten den immer höher werdenden Beanspruchungen der immer schneller werdenden Strecken stand!

Bis kurz vorm Platzen gefüllte Luftreifen - 15 Bar und mehr waren keine Seltenheit - waren das Nonplusultra. Eines Tages kam einer daher, der wusste das nicht - und mischte prompt das gesamte Fahrerfeld mit seiner eleganten, schmalen Bobby-Car Bauweise mit PU-Vollgummireifen auf. Seitdem wusste man: Auch Luftwiderstand spielt eine Rolle. Das Gewicht der bis zu 40 kg schweren Rennboliden wurde in die Kunststoffkörper verlagert, das Feld der Vollgummireifenfahrer stritt sich mit den Luftreifenenthusiasten, welches der bessere Reifen war.

Sogar mit dem deutschen Amt für Luft- und Raumfahrt wurde Kontakt aufgenommen, um in puncto Materialien, Gewichtsverteilung und Aerodynamik seinen Konkurrenten den letzten Zentimeter auf der Strecke abzuknöpfen - und Geschwindigkeiten von über 100 km/h konnten je nach Strecke problemlos erreicht werden.

Immer nur bergab war dann auch irgendwann zu gewöhnlich und schon motorisierte man die Lieblingsgefährte.

Motoren aus dem Formel 1-Modellbau mit bis zu 20.000 Umdrehungen pro Minute waren klein und gleichzeitig kräftig genug, die erwachsenen Rennfahrer die Rennstrecken auch bergauf erkunden zu lassen.

Und da das Thema Elektromobilität nun auch immer mehr an Bedeutung gewann, dachten wir uns:
Warum nicht auch eine Lösung mit Elektromotor?

Danksagung

Ein herzliches Dankeschön an den MiniCartClub-Deutschland e.V. (ehem. Bobby-Car-Club Deutschland e.V.) für die Einblicke in die Entstehung unserer geliebten Sportart.

Ohne euren Mut, Einsatz und Willensstärke wäre der Sport nie so groß geworden! Ihr seid großartig!

In den kommenden Monaten werden wir mit einigen Videos auf die Ursprünge sowie die ersten goldeneren Jahre des Sports zurückblicken. Seid also gespannt!

Hier gibt es auch schon ein paar Aufnahmen der Jahre 2000 - 2001: Ray´s YouTube Channel

Redaktion: Christian Fox, Marc Hoppmann, Mike Knigge, Olaf Thielbeer, Robin Wagener, Uwe Wagener, Marcel Paul, Hannah Pompalla

Fotos: MiniCartClub Deutschland e.V., Olaf Thielbeer, Claus Wiesel, sowie aus dem Fundus vieler Silberger Bürgerinnen und Bürger.